“Arielle, die Meerjungfrau”: Eine Realverfilmung zwischen der See des Bekannten und dem Land der neuen Ansätze

Vorab bereits viel diskutiert, demnächst endlich in einem Kino eurer Wahl: „Chicago“-Regisseur Rob Marshall begibt sich unter’s Meer und erfindet „Arielle, die Meerjungfrau“ neu. Oder etwa doch nicht?

Wann immer die Disney-Studios eine Realfilm-Neuinterpretation eines Stoffes ankündigen, den sie bereits als Animationsfilm behandelt haben, passiert dasselbe: Euphorie von Leuten, die ihre Kindheitsfavoriten in neuem Gewand sehen wollen. Frust von Leuten, die sich wundern, wo Disneys Innovationswillen hin ist. Lange Zeit war es eine denkbar einfache Übung, sogar ungesehen einzuordnen, welches Disney-Remake in welche Kategorie gehört:

Guy Ritchies „Aladdin“, Bill Condons „Die Schöne und das Biest“ und Jon Favreaus „Der König der Löwen“ (der kein Realfilm ist, aber so kleinlich wollen wir an dieser Stelle nicht sein) kündigten sich überdeutlich als „erweiterte Remakes“ an. Nacherzählungen, die sich eng an der Vorlage entlanghangeln, aber länger in bestehenden Szenen verweilen und ein paar dazu dichten.

Anzeige

Aufgepasst - nur für Disney+ Abonnenten!

Spare 20% bei deinem Aufenthalt in Disneyland Paris! Gültig für alle Disney Hotel Pauschalen bis Ende September.
Mehr Informationen zum Angebot...


>> Hier Angebot buchen! <<

Affiliate Link: Bei einer Buchung können wir eine Verkaufsprovision erhalten. Für dich entstehen dadurch keine Mehrkosten.


Tim Burtons „Dumbo“, Jon Favreaus „The Jungle Book“ und Kenneth Branaghs „Cinderella“ hingegen präsentierten sich vorab als freie Neuinterpretationen mit gelegentlichen Verweisen auf die ikonischen Disney-Trickfilme – und hielten genau das ein. Zuletzt wurde es jedoch schwerer, diese Trennlinie zu ziehen: Robert Zemeckis’ „Pinocchio“ ist ein erweitertes Remake mit einigen massiven Abweichungen vom Meisterwerk aus dem Jahr 1940. Und David Lowerys „Peter Pan & Wendy“ ist eine Art Neuinterpretation, die sich zwischenzeitlich in ein erweitertes Remake verwandelt.

Sämtliches Marketing zu „Arielle, die Meerjungfrau“ stellte es so dar, als hätte „Mary Poppins’ Rückkehr“-Regisseur Rob Marshall ein erweitertes Remake abgeliefert. Aber wer sich ins Kino setzt, wird nach dem Disney-Logo von einem Zitat des Schriftstellers Hans-Christian Andersen begrüßt, der bekanntlich die Vorlage zur Vorlage dieses Films geschrieben hat – das Kunstmärchen „Die kleine Meerjungfrau“.

Ob Marshall damit die Weichen für einen eigenständigen Film legt, wo die Stärken und Schwächen seines Remakes liegen, und woran mich die Welle an Disney-Neuverfilmungen erinnert – das verrate ich euch jetzt!

Annie Leibovitz’ Fotos lernen das Laufen

Wer Mitte/Ende der 2000er-Jahre als Disney-Fan im Internet unterwegs war, erinnert sich sicherlich an die „Disney Dream Portrait Series“: Top-Fotografin Annie Leibovitz lichtete bekannte Persönlichkeiten wie Scarlett Johansson, Rachel Weisz, David Beckham, Queen Latifah oder Taylor Swift in Kostümen und Posen ab, die ikonischen Disney-Figuren nachempfunden sind.

Die Porträtfotos vereinen Leibovitz’ markanten Umgang mit Licht und Detailschärfe, verneigen sich vor unvergesslichen Figuren sowie einprägsamen Filmmomenten und stillen zudem eine unbändige Neugier, die in vielen Menschen schlummert: Was, wenn man animierte Szenerien mit echten Menschen in fotorealistischer Umgebung neu erfindet? Wobei… vielleicht haben diese Fotos gar keinen Durst gestillt, sondern überhaupt erst neu entfacht:

Julianne Moore als Arielle, betrachtet durch die Linse von Annie Leibovitz
Julianne Moore als Arielle, betrachtet durch die Linse von Annie Leibovitz (© Disney)

Wenige Jahre nach Debüt der Fotoserie erschien mit „Alice im Wunderland“ Disneys erste Realfilm-Neuinterpretation, die man dem seither anhaltenden Boom zurechnen könnte. Es war kein neues Konzept, lachte sich doch beispielsweise Glenn Close 1996 durch „101 Dalmatiner“, aber es ist eine Prämisse, die seither in größerer Taktung umgesetzt wird.

Anders als Leibovitz’ Fotoserie, die weitestgehend mit Bewunderung aufgenommen wurde, spalten die Disney-Realneuverfilmungen die Gemüter. Aber warum? Nun, der wohl bedeutendste Unterschied liegt in der Natur der Sache: Die „Disney Dream Portrait Series“ besteht aus Standfotos, die nicht in geringster Weise Anspruch erheben, sich mit den Filmen zu messen. Sie sind stillstehende Hommagen.

Die Realneuverfilmungen dagegen müssen sich der endlosen Debatte stellen, wie viel Wiederholung muss und wie viel kreative Freiheit darf. Dem Disney-Konzern dürfte das angesichts des finanziellen Erfolgs einiger dieser Filme leidlich egal sein. Dafür sind die Kluften, die sich auftun, wenn man erst einmal variierende Publikumshoffnungen näher betrachtet, umso vielsagender.

Und eine böse Zunge würde behaupten, dass die Analyse dieser Kluften deutlich spannender ist, als es die sich enger an ihren Vorlagen orientierenden Remakes jemals sein könnten…

Die Macht des filigranen Unterschieds

…doch an dieser Stelle seien allzu böse Zungen außen vor gelassen. Denn Rob Marshalls „Arielle, die Meerjungfrau“ bietet ausreichend Gesprächspotential, wenn man sich auf das Mammutprojekt eingelassen hat.

Der Film, dem der Regisseur hinter „Chicago“, „Into the Woods“ und „Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten“ rund viereinhalb Jahre (!) seines Lebens gewidmet hat, beginnt nah an der Zeichentrickvorlage von Ron Clements und John Musker. Sehr nah! Dieselben Szenen, nahezu gleich aufgebaut – Hauptdarstellerin Halle Bailey imitiert die Posen ihrer gezeichneten Vorgängerin. Die Dialoge schwanken zwischen „Aus der Erinnerung ans Original zitiert“ und direkt abgeschrieben. Und die von Dion Beebe geführte Kamera arrangiert das Bild sehr oft nah, teils exakt so wie im Trickfilm.

In diesem Meer aus Wiederholungen stechen allerdings einige gezielte Differenzen enorm heraus. So lässt sich das Remake überraschend lange Zeit bis zur ersten Gesangsnummer, während der Zeichentrickfilm kaum Zeit verliert, bis die ersten Noten geträllert werden. Zu diesem Zweck Stücke von Alan Menken und Howard Ashman zu stutzen, wirkt auf dem Papier vielleicht wie ein Sakrileg, kommt dieser Neuverfilmung aber zugute: Wie Menken selbst bereits erläuterte, baut sich so unterbewusst Spannung auf, und die Wirkung des ersten Liedes fällt deshalb umso größer aus.

Marshall bestückt das erste Drittel des Films zudem mit bildschönen, rau-romantischen Impressionen des ozeanischen Wellengangs, die durchschimmern lassen, in welch nachdenklicheren Gefilde der Film hätte schwimmen können, hätte der Regisseur mehr Freiraum erhalten. Doch selbst in dargebotener Form setzen sie im Zweiklang mit anderen Detailveränderungen Akzente – aus dem großäugig-verzauberten Märchen wird, ähnlich wie schon beim „Die Schöne und das Biest“-Realfilm, eine ruhigere, schwelgende Interpretation.

Das spiegelt sich insbesondere in Halle Baileys Darbietung wider: Die Musikerin ist als Arielle eine regelrechte Wucht und fängt das wissbegierige, aufmüpfige Naturell der Titelheldin aus dem Zeichentrickklassiker wundervoll ein. Aber passend zur durch den Look bedingten, dezent gedämpften Tonalität und zu den erzählerischen Abwandlungen durch „Mary Poppins’ Rückkehr“-Drehbuchautor David Magee, legt sie einen Hauch schmerzlichere Sehnsucht ins Spiel.

Baileys Arielle findet nicht bloß die Menschenwelt faszinierender als ihre eigene, und entflieht ihrer Heimat nach einem Streit mit ihrem Vater – diese Arielle verspürt einen unnachgiebigen, inneren Drang, ihre Heimat hinter sich zu lassen. Konsequenterweise ist die Unterwasserwelt in Marshalls Film schattiger, farblich monotoner als im Zeichentrickfilm.

Halle Bailey als Arielle
Fast wie im Trickfilm, aber etwas weniger majestätischer Märchenzauber, ein Hauch mehr Weltschmerz: Arielle sehnt sich gen Land. (© Disney)

Farb- und Lichttupfer gibt es vornehmlich am Ende von „In deiner Welt“, wenn sich durch die Ereignisse oberhalb des Wassers verlockende Strahlen in Arielles Grotte kämpfen. Und natürlich, wenn Sebastian in seinem Loblied auf die Unterwasserwelt Arielles Aufmerksamkeit auf die sie umgebende Schönheit lenkt. (In dieser Interpretation weniger kauzig, und getreu der Vorlage mit wenig Erfolg.)

Und die berühmte „In deiner Welt“-Reprise, die Arielle auf einem Felsen liegend während eines dramatischen Wellengangs gen Strand schmettert, wird fast genau so inszeniert wie im Zeichentrickfilm. Doch die märchenhaft-verzauberte Überzeugung, mit der die Meerjungfrau währenddessen agiert, wird durch ein dramatisches, nahezu ungeduldiges Zittern ergänzt.

Dass Marshall, Magee und Bailey ihre eigenen Akzente im ersten Filmdrittel nur im Filigranen ausdrücken können, hemmt ihr Entfaltungspotential. Trotzdem wäre es bedauerlich, diese künstlerischen Anpassungen gänzlich zu ignorieren, zumal es nicht bei diesen Kleinigkeiten bleibt…

Der unvermeidliche Verlust des Knuddelfaktors (und das zarte Annähern zweier Verliebter)

Ohne zu viel vorwegzunehmen: Aus den dezenten Unterschieden zwischen Realfilm und Zeichentrickklassiker werden deutliche Unterschiede, sobald Arielle ihren Pakt mit der Seehexe Ursula abgeschlossen hat. Marshall und Magee ziehen keine Vorgehensweise wie Tim Burton bei „Dumbo“ aus dem Hut, verschieben ihr „erweitertes Remake“ aber in die Gefilde von Branaghs „Cinderella“: Die auf Arielles Faszination für die Menschenwelt fußende, märchenhaft-verknallte Liebe zu Eric weicht einem schrittweise erzählten, jugendlich-naiven Anbändeln.

Das Skript gibt Jonah Hauer-King in der Rolle des Prinzen zwar weniger Gelegenheit, schauspielerisch aufzutrumpfen, als Bailey sie bekommt. Dennoch findet das Remake mehrere neue Sequenzen, in denen Hauer-King und Bailey eine süße, überzeugende Chemie untereinander entwickeln. Vor allem eine Szene, in der sie sich basierend auf ihrem gemeinsamen Wissensdurst annähern, ist gelungen umgesetzt. Und eine erquickliche, farbenfrohe (und durchaus Erinnerungen an „Rapunzel – Neu verföhnt“ weckende) Sequenz, in der Eric und Arielle einen Markt besuchen, haucht diesem Remake eigene Identität ein.

Dass wir kein vage-europäisches Königreich zu Gesicht bekommen, sondern sich Marshall, sein Stamm-Produktionsdesigner John Myhre und „Big Fish“-Kostümbildnerin Colleen Atwood an südlicheren Gefilden orientieren, trägt ebenfalls zum Innovationsfaktor bei. Und es ist, seien wir mal ehrlich, angesichts der musikalischen Färbung der berühmtesten „Arielle“-Songs, auch vollkommen schlüssig.

Im mit neuen Songs gedehnten Mittelteil wird auch eine Veränderung verdeutlicht, die sich bereits im ersten Akt abgezeichnet hat: Arielles tierische Freunde spielen eine weniger bedeutende Rolle als im Zeichentrickfilm. Das ist möglicherweise ein Eingeständnis an den Umstand, dass eine sprechende, halbwegs fotorealistische Krabbe und ein ebenso recht nah an der Wirklichkeit animierter Fisch als Gesprächspartner einfach deutlich weniger knuffig sind.

Live Action Fabius
Würdet ihr diesem Fisch eure heimlichsten Gedanken anvertrauen? (© Disney)

Aber ob bewusst oder unbewusst: Marshall und Magee unterstreichen somit ihre Vision ihrer Fernweh verspürenden Protagonistin. Ihre tierische Freundschaften schwächer zu skizzieren, ist nur konsequent. Inkonsequent ist indes, dennoch an den denkwürdigsten Dialogen zwischen Arielle und ihren Freunden festhalten zu wollen – aber was passiert, wenn man einer Disney-Heldin ihre Sidekicks wegnimmt, sah man ja an den Reaktionen enttäuschter Fans auf den „Mulan“-Realfilm…

Sinnbildlich für den zuweilen ungelenken Versuch, neue Ansätze und Originaltreue zu vereinen, steht die „Küss sie doch“-Szene, die im Remake arg hektisch zwischen scheuer Romantik, Witz und großer Musicalromanze schwankt. An anderer Stelle entfaltet sich dagegen eine überzeugende, wohl ausbalancierte Mischung aus Nach- und Neuerzählung des Trickfilms, beispielsweise wenn sich Arielle und Eric wie kichernde Teenies zurück ins Schloss schleichen, oder in allen Szenen, die Erics joviale Beziehung zu Grimsby noch eine Spur gewitzter und glaubwürdiger zeigen als im Trickfilm.

Die als schurkische Ursula besetzte Melissa McCarthy trifft ebenfalls genau den Tonfall, den dieser Film benötigt: Sie ist als genervte, hinterlistige Seehexe große Klasse und gleitet nahtlos von gespielter Hommage ans Original hin zu eigenen Ansätzen. Ein Jammer, dass aufgrund schwacher Trickeffekte und einiger Gravitas missen lassender, ästhetischer Entscheidungen Ursulas großes Finale bloß noch einen müden Schatten des Trickfilm-Endkampfes darstellt.

Disney100 – Die Filmgala

Ein Leitspruch, den ich mir in meiner Zeit als Filmkritiker mit zunehmender Überzeugung zu Herzen nehme, lautet: „Besprich den Film, den du bekommen hast – nicht den, den du dir selber ausdenkst!“ Schließlich tritt man bei solchen Traumtänzereien schnell in die Arroganzfalle: „Ich habe eine grob umrissene, mich überzeugende Grundidee und die Umsetzung wäre natürlich makellos, ganz anders als dieser Film, um den es in dieser Kritik eigentlich gehen sollte!“

Und doch kam ich während der Pressevorführung von Marshalls „Arielle, die Meerjungfrau“ nicht umhin, im letzten Winkel meines Hinterkopfes einen Geistesblitz zu verspüren, der mich nunmehr abschweifen lässt. Denn ob ich will oder nicht, ich muss zugestehen: Große Teile des Publikums wollen keine Neuinterpretation. Ein guter Prozentsatz des Publikums will nicht einmal einen ganzen Realfilm, der die animierte Inspirationsquelle imitiert. Sie wollen das Filmpendant zu Annie Leibovitz’ Superstar-Porträts mit Disney-Anstrich:

Sie wollen ihre Lieblingsszenen aus den Disney-Klassikern in real(istischer) nachgestellt sehen. Das konnte ich in den vergangenen Jahren selbst in Pressevorführungen beobachten, wo hörbare Publikumsreaktionen zumeist schmal ausfallen: Wenn der Titelsong aus „Die Schöne und das Biest“, Arielles großer musikalischer Sehnsuchtsmoment oder die „Prinz Ali“-Parade anstehen, rutschen die Leute vorfreudig im Kinosessel nach vorne, spitzen die Lauscher und wippen mit (oder halten den Atem an, je nach Temperatur des Liedes).

Wenn es also letztlich nur darum geht, zu sehen, wie eine unvergessliche Trickfilmszene als Realfilm aussieht, und zu hören, wie aktuelle Künstler*innen während der populärsten Musikeinlagen liebgewonnener Rollen klingen – wieso uns dann durch den Rest zerren? Wieso Filmschaffende jahrelang auf ein Drahtseil zwischen ihrem Stil und der Vorlage schicken, wenn es eine viel ehrlichere Herangehensweise gibt? Meine Lösung wäre es gewesen, das 100-jährige Firmenjubiläum Disneys mit einer filmischen Gala zu begehen, die ikonische Disney-Momente feiert.

Ziegfeld Follies
Ein Blick über den Disney-Tellerrand und ein filmisches Muss für alle, die Gesangs- und Tanzeinlagen lieben, und dafür nicht zwingend eine durchdachte Handlung brauchen: Der Episodenfilm „Ziegfeld Follies“ ist ein Schaulaufen der Stars des güldenen Hollywood-Zeitalters. (© MGM)

Schon im goldenen Zeitalter des Filmmusicals gab es Projekte, in denen die Handlung auf ein Minimum reduziert oder gar völlig ausgelassen wurde. Nummernrevuen, die dazu einladen, schlicht und ergreifend hervorragende Gesangs- und Tanztalente in faszinierender Kulisse dabei zu erleben, wie sie ihr Bestes geben. Entfesselt von den Ketten handlungsbedingter Logik!

Episodenfilme wie „Ziegfeld Follies“ (alias „Broadway Melodie 1950“, alias „Ziegfields himmlische Träume“) wären die Blaupause, um im Kino das zu bieten, was sich Leute von der filmgewordenen „Disney Dream Portrait Series“ erhoffen. Solch ein „100 Years of Disney Magic“-Film würde Regietalenten die Möglichkeit geben, Disney-Sequenzen rauszupicken, die sie neu interpretieren wollen. Rob Marshall inszeniert „In deiner Welt“ mit Halle Bailey in der Rolle der Arielle mit seinen theatralen Sensibilitäten. Andere Regisseur*innen „covern“ mit aktuellen Stars ihre Lieblingsszenen vielleicht etwas freier, und lasst doch ein paar Zeichner*innen legendäre Disney-Realfilme als Cartoon eindampfen!

Es wäre eine Werkschau voller ästhetischer Ansätze, Klangfarben und Formen, und somit ein Faszinosum für jene, die in Remakes den Stil der Verantwortlichen erkennen wollen. Gleichzeitig wäre es ein filmgewordenes Coveralbum, das jene abholt, die eh keine Lust auf neue narrative Elemente mitbringen. Und es wäre ein Disney-Tribut an sich selbst. So wie es die Realneuverfilmungen sind – nur schillernder.

Moment, war da nicht was?

Erinnert ihr euch noch daran, wie ich erwähnt habe, dass dieses Remake mit einem Andersen-Zitat beginnt? Fragt ihr euch zufällig, was daraus geworden ist? Nun, das habe ich mich während der Kinovorführung auch gefragt – und erst gen Ende wurde dieser Gedanke erzählerisch erneut aufgegriffen. Das steht symptomatisch für Marshalls „Arielle, die Meerjungfrau“:

Das Andersen-Zitat setzt eine neue Erwartungshaltung, dann kehrt der Film zum Disney-Trickklassiker zurück, findet andere neue Ideen, kehrt erneut zum Trickfilm zurück und greift dann die fallen gelassene Eingangsidee auf. Aus der macht Marshall reizendes – er verschiebt die emotionalen Zwischentöne einer entscheidenden Szene, gibt ihr eine andere Dimension, ohne ihren Sinn auf den Kopf zu stellen.

Aber es bleibt befremdlich, dass diese schöne Idee in einem über 130 Minuten langen Remake darauf reduziert wird, zweimal knapp verwendet werden, statt sich zu einem emotionalen, ergiebigen roten Faden zu entwickeln. Daher wirkt diese „Arielle, die Meerjungfrau“-Version wahlweise unfertig oder wie ein großer Kompromiss – aber gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass Marshall und seine Crew sich in ihrem jahrelangen Entstehungsprozess mit Passion dem Stoff genähert haben, statt ihn routiniert abzuspulen.

Melissa McCarthy als Ursula in Arielle, die Meerjungfrau
Ihr seid keine arme Seelen in Not, wenn ihr euch auf dieses Remake freut. Aber ob die Verwandlung eines Zeichentrickfilms in einen Realfilm ein gutes Geschenk zum 100-jährigen der Disney-Studios ist, deren Gründer darum kämpfte, dass das Trickmedium ernst genommen wird? Das steht auf einem anderen Blatt… (© Disney)

Schlussendlich hat dieses Remake klare Stärken – Baileys Performance, McCarthys Interpretation der Ursula, die putzigen Flirts zwischen Arielle und Eric, sowie das farbenfrohe, einladend-warme Produktionsdesign an Land. Doch es hat auch Schwächen, wie die Diskrepanz zwischen den fotorealistischen Tierdesigns und dem Versuch, sie gelegentlich wie im Trickfilm einzusetzen, ein paar verkrampfte Dialoge oder das matschige Actionfinale. Und dazwischen ist viel Beliebigkeit, die im Auge der Betrachtenden liegen wird – ist sie ideenloses Trickfilmimitieren oder die erhoffte Realfilmreprise des Zeichentrick-Meisterstreichs?

Immerhin ist durchweg Marshalls Handschrift zu erkennen – manchmal schimmert sie durch, in den originelleren Sequenzen ist sie sogar überdeutlich. Für mich, der mit dem „Chicago“-Macher sympathisiert, und der von der „Wenn ich den Trickfilm sehen will, gucke ich den Trickfilm“-Warte an die Remakes herantritt, bedeutet dies: Das „Arielle, die Meerjungfrau“-Remake liegt bei mir über den Neuverfilmungen von „Aladdin“ und „Der König der Löwen“, aber beispielsweise unter Branaghs „Cinderella“. Ich war vergnügt, werde das Remake aber so schnell nicht erneut schauen.

Je nachdem, von welcher Warte aus ihr stammt und wie ihr zu Marshalls Stil steht, werdet ihr natürlich ein anderes Ranking haben. Doch so oder so hoffe ich, dass nach den teils ätzenden Vorab-Debatten zum Film nunmehr vernünftiger über den Film diskutiert wird. Und mich würde natürlich interessieren: Wie hättet ihr einen „Disney100“-Galafilm anstelle der Remake-Schwemme gefunden?

Anzeige
Deutscher Disney Podcast: DisneyCentral.de LIVE: Calling all Dreamers!

DisneyCentral.de LIVE:
Calling all Dreamers!

DisneyCentral.de LIVE: Calling all Dreamers! - Der neue deutsche Disney Podcast von Fans für Fans. Jeden 1. Freitag im Monat eine neue Episode! Jetzt überall, wo es Podcasts gibt - Träumst du vorbei?

spotify podcast badge blk grn 330x80 1
US UK Apple Podcasts Listen Badge RGB
AvailableonYouTube black

Nutzt die Kommentarfunktion auf dieser Seite, tauscht euch rege aus und denkt dran: Der Seetang blüht immer grüner, wenn er dich von fern’ erfreut!

„Arielle, die Meerjungfrau“ startet am 25. Mai 2023 in zahlreichen deutschen Kinos.

Keine Disney-News mehr verpassen?
Melde dich zu unserem kostenlosen Newsletter an:

2 Antworten auf „“Arielle, die Meerjungfrau”: Eine Realverfilmung zwischen der See des Bekannten und dem Land der neuen Ansätze“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert